Politik gegen Arme im Wesertor


Seit dem 7. April 2021 hat die Stadtverwaltung Kassel auf dem Wesertorplatz alle Sitzgelegenheiten demontiert und die Gerippe der Bänke obendrein mit Bauzäunen abgesperrt. Die Bänke werden vor allem von Obdachlosen und der Trinkerszene genutzt. Die absurd anmutende Maßnahme findet innerhalb eines Kontexts statt, in dem Arme aus dem Viertel vertrieben werden sollen und der Stadtteil aufgewertet wird.

Ein Kommentar von Christoph Hepp

Das Wesertor und insbesondere der Wesertorplatz haben einen schlechten Ruf. Armut, allgegenwärtige Trinkerszene trotz Alkoholverbotszone, ständige Polizeieinsätze, Müll, Verkehrslärm. Dieser Ruf verträgt sich freilich schlecht mit dem gewünschten Zuzug von gut situierten Studenten, für die an mehreren Stellen Wohnheime entstehen. Die allerorts besungene Universitätsnähe scheint nicht als Verkaufsargument zu reichen. Die Aufwertung des Wohnviertels Wesertor, auch von Immobilieninvestoren und sonstigen Vermietern vorangetrieben, kommt nur schleppend voran. Trotz aller Bemühungen wollen die Armen nicht weichen.

Dabei nutzen Ortsbeirat, Stadtverwaltung und ein lokaler Autohändler schon einige sich bietende Gemeinheiten. Zum Repertoire gehörten das Alkoholverbot und ständige Besuche der aggressiven Freizeitsheriffs „Stadtpolizei“ gegen Jugendliche, Trinker und Obdachlose. Es fehlen noch penetrante klassische Musik und Anti-Obdachlosen-Mobiliar, um die Vertreibungsmaßnahmen gegen das vermeintliche Lumpenproletariat zu komplettieren.

Gegenüber der HNA wurde dann von der Ortsvorsteherin Lattrich (Grüne) im Thema Bankdemontage ohne ein Argument gefaselt, dass das „Verhalten“ und die „Stimmung“ auf dem Platz nicht akzeptabel sei. Dass dieses vermeintliche Verhalten alleinig die Existenz von armen Menschen in der Öffentlichkeit meint, sollte dann scheinbar doch nicht allzu laut gesagt werden.

In dieser Logik steht auch die Demontage der Bänke zeitgleich zu den neuen Pandemiemaßnahmen. In der zugehörigen Ortsbeiratssitzung drückten sich die Delegierten und Ortsvorsteherin darum zuzugeben, dass die Idee der Demontage vom vorherigen Ortsbeirat an die Stadtverwaltung durchgegeben wurde. Wohlgemerkt von einem SPDler initiiert und einer Grünen weitergeführt.

Statt einer Sozialpolitik, die ihren Namen verdient, Drogenberatung oder Suchtprävention wird der Platz in einem Wohnviertel, ohnehin dank der völlig verfehlten Verkehrspolitik vom Autoverkehr zerrissen, für alle Verlierer des Systems unnutzbar gemacht. Statt Armut zu bekämpfen werden die Armen bekämpft. Als hätten sie sich ihre Klasse ausgesucht. Dass in den gehobeneren Stadtteilen Vorderer Westen, Wilhelmshöhe oder Brasselsberg die Bänke demontiert wurden, konnte vom Autor bisher nicht beobachtet werden.