Müde vom Krieg – Ein Gespräch über den Iran


Anfang des Jahres töteten die US-Streitkräfte den iranischen General Qasem Soleimani. Die folgende internationale Krise war für kurze Zeit omnipräsent. Mit dem Kasseler Shami Salwati sprachen wir über den Vorfall und die aktuelle Situation im Iran.

Das Interview führte Arthur Becker.

Das neue Jahr war gerade einmal ein paar Tage alt, da schien die Welt schon am Rande eines neuen Weltkrieges zu stehen. Am 3. Januar wurde der iranische General Qasem Soleimani durch einen Drohnenschlag der US-Armee getötet. Das sorgte für weitere Spannungen zwischen beiden Ländern sowie im Nahen Osten allgemein. Die Lage scheint sich mittlerweile beruhigt zu haben, oder haben wir uns bloß an den Ausnahmezustand gewöhnt?

Über diesen Vorfall sprachen wir mit Shami Salwati, einem iranischen Oppositionellen, der heute in Kassel lebt. Er erzählt davon, wie es war, im Iran politisch aktiv zu sein und wie er die aktuelle Lage einschätzt.

Jugend in der Illegalität

Shami wuchs im mehrheitlich von Kurd*innen bewohnten Norden des Iran auf. Dort erlebte er als Jugendlicher 1979 die Islamische Revolution. Vom ersten Tag an habe er sich gegen die neue islamische Regierung gestellt, berichtet er. Darum wurde er Anfang der 80er Jahre erstmals aufgrund seiner politischen Arbeit verhaftet. Er war damals 19 Jahre alt und aktiv für die verbotene Kommunistische Partei des Irans. Während viele seiner Freunde und Genoss*innen in Haft gefoltert und ermordet wurden, konnte er das Gefängnis drei Jahre später wieder verlassen.

„Auch wenn ich gesundheitliche Schäden davon trug, hatte ich Glück, dass ich überhaupt wieder freigelassen wurde. Nach der Haft war ich dann erst recht überzeugt, weil ich gesehen hatte, mit welchem Regime wir es zu tun haben.“

Wieder in Freiheit war er umso aktiver, als müsse er die verlorene Zeit nachholen. Während der folgenden sechs Jahre reiste er viel durchs Land. Er versuchte, die Menschen im Iran aufzuklären und für den Kampf für Demokratie und Gleichberechtigung von Mann und Frau zu gewinnen. Mehr, sagt er, war im Untergrund nicht möglich.

Aus Angst vor Verhaftungen wurden Waffen getragen, musste alles heimlich organisiert werden. Diese Angst war begründet: Zwei seiner Freunde wurden in dieser Zeit verhaftet, weil sie politische Flugblätter verteilt hatten. Der jüngere der beiden, zu diesem Zeitpunkt erst 17 Jahre alt, wurde in Haft erschossen. Auch der ältere starb an den Folgen von Folter ebenfalls noch im Gefängnis.

„So geht das Regime im Iran seit Jahrzehnten gegen Oppositionelle vor. Darum kritisieren wir auch die Teile der deutschen Linken, die sich mit ihren Forderungen indirekt hinter das Regime stellt.“

Aus dem Iran nach Kassel

Anfang der 90er Jahre begann Shami an den Erfolgsaussichten seiner bisherigen politischen Arbeit zu zweifeln. Er sei zwar seinen Überzeugungen treu geblieben, betont er, im Leben und Arbeiten im Untergrund habe er jedoch keine weitere Perspektive gesehen. Schließlich verließ er die Partei, und auch das Land. Nach einem kürzeren Aufenthalt im Irak gelangte er nach Deutschland und erhielt dort politisches Asyl. Er ließ sich in Kassel nieder und machte sich mit einem Imbisswagen selbstständig.

Kaum in Deutschland angekommen, nahm er seine politische Arbeit wieder auf. Er engagierte sich im iranischen Flüchtlingsrat, verfasst bis heute regelmäßig politische Artikel oder Gedichte für persische Zeitungen. Auch politisch fand er eine zweite Heimat in der neugegründeten Arbeiterkommunistischen Partei Iran. In dieser beteiligte er sich fortan aus dem Exil.

Wer um einen Mörder trauert

Aus dem Exil beobachtet Shami auch gespannt die Entwicklungen im Iran. Auf die Frage, wie er die Tötung Soleimanis bewertet und ob er die Einschätzung teilt, es drohe ein neuer Weltkrieg, wird sofort deutlich, dass er ihm keine Träne nachweint. Er gibt ihm die Schuld an zahlreichen Verbrechen gegen die iranische Bevölkerung.

Tatsächlich war Soleimani an der Niederschlagung der Aufstände im kurdischen Teil des Irans kurz nach der Islamischen Revolution 1979 beteiligt. Über 10.000 Menschen kamen dabei ums Leben, allein 1.200 kurdische Häftlinge wurden hingerichtet. Auch für den Einsatz von Kindern zum Räumen von Minenfeldern während des Iran-Irak Krieges in den 80er Jahren macht er Soleimani verantwortlich.

Im Zuge des Iran-Irak Kriegs wurde 1980 die Quds-Einheit gegründet. Die Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarde ist spezialisiert auf Operationen im Ausland. Kurz nach ihrer Gründung wurde Soleimani ihr Kommandant. Unter seiner Führung agierte die Einheit, deren erklärtes Ziel eine weltweite islamische Revolution ist, in den folgenden Jahren auf nahezu allen Schlachtfeldern im Nahen Osten.

Auch im Syrischen Bürgerkrieg habe Soleimani seine Finger im Spiel gehabt, ist sich Shami sicher. Er habe sich mit seinen Einheiten hinter das Assad-Regime gestellt und dabei unterstützt, Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen.

„Das alles tat Soleimani immer im Auftrag der iranischen Regierung. Ab dem ersten Tag stellte er sich in ihrem Auftrag hinter Assad, während der sein eigenes Volk massakrierte.“

Dass trotzdem hunderttausende Iraner*innen auf die Straße gingen und seinen Tod beklagten, ist für Shami kein Beweis dafür, dass die iranische Bevölkerung wirklich um Soleimani trauere. Die Teilnehmenden der Trauerdemonstrationen seien hauptsächlich dafür freigestellte staatliche Bedienstete, Student*innen oder Milizionäre gewesen. Obwohl die Regierung es geschafft habe, große Trauerdemonstrationen zu inszenieren, sei nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung wirklich regimetreu.

Endlich in Frieden leben

Von viel größerer Bedeutung seien die Demonstrationen der iranischen Opposition. Diese habe es im vergangenen Jahr immer wieder gegeben, und auch als Reaktion auf den Abschuss eines Linienflugzeugs. Kurz nach Soleimanis Tod wurde nahe Teheran eine ukrainische Passagiermaschine abgeschossen, vom iranischen Militär wie sich später herausstellen sollte.

Bei den folgenden Demonstrationen trugen hunderttausende Iraner*innen ihren Hass auf die Regierung und deren Umgang mit dem Vorfall auf die Straße. Und obwohl es 2019 hunderte Tote und tausende Verhaftungen gegeben habe, beteiligten sich die Menschen trotzdem weiter an den Demonstrationen gegen die Regierung.

Dabei würden in letzter Zeit auch immer wieder Institutionen des Regimes, Banken, Polizeiwachen oder sogar religiöse Einrichtungen angegriffen. Dass die Menschen sich das trauen, sei lange Zeit undenkbar gewesen.

Diese ebenso großen Demonstrationen der Opposition zeigen, dass das Land gespalten ist; und beeindrucken Shami umso mehr: Deren Anhänger bekämen schließlich für die Teilnahme keinen freien Tag, sondern müssten potentiell um ihr Leben fürchten.

Als Gründe für die anhaltenden Proteste identifiziert Shami vor allem die wachsende Unzufriedenheit mit den Versuchen der Regierung, alle Aspekte des Privatlebens der Menschen ihren religiösen Wertevorstellungen zu unterwerfen. Doch auch den seit Jahren anhaltenden Kriegszustand wollten die Menschen nicht länger hinnehmen.

„Seit der Entstehung dieses Regimes ist es ständig im Krieg und mit fast allen seiner Nachbarländer verfeindet. Viele Menschen im Iran sind müde vom Krieg und diesen Feindseligkeiten.“

Wem die Feindschaft nützt

Doch auch die USA sind seiner Ansicht nach nicht unschuldig an der schwierigen Situation, in der sich die iranische Bevölkerung derzeit befindet. Deren Nahost-Politik habe vor allem ihren eigenen Interessen gedient.

Als beispielsweise das amerikanische Militär als Reaktion auf die Anschläge am 11. September 2001 gegen die Taliban in Afghanistan in den Krieg zog, waren Soleimani und seine berüchtigte Quds-Einheit dort noch ein enger Verbündeter der USA. Welche Rolle er bei der Niederschlagung der Unruhen im Iran gespielt hatte, schien die USA damals nicht zu stören. Gleichzeitig scheute auch die iranische Regierung keine Kooperation, obwohl der vermeintlich verhasste Westen seit Jahrzehnten als Feindbild dargestellt wird.

Auch von der heute besonders zugespitzten Feindschaft würden wiederum beide Staaten profitieren. Die iranische Regierung schüre einerseits Hass und Angst den USA gegenüber und versuche, sich dadurch Einfluss in der Region zu sichern. Umgekehrt nütze der amerikanischen Regierung die Angst vieler arabischer Staaten vor dem Iran, weil diese dann teure Waffensysteme aus Amerika kauften.

Für beide Staaten gelte außerdem, dass sie durch ihre kriegerische Außenpolitik von innenpolitischen Problemen ablenken wollten. Mit Blick auf die angespannte Situation innerhalb des Iran sei das ein Vorgehen, wie es typisch für Diktaturen ist.

„Wenn es Probleme im eigenen Land gibt, wird mit Kriegspropaganda davon abgelenkt. Darum ist das Feindbild Amerika für das iranische Regime überlebensnotwendig.“

Reaktionen in Deutschland

Während die Tötung Soleimanis durch die USA vor allem Teile der deutschen Friedensbewegung auf den Plan rief, organisierten iranische Oppositionelle im Exil auch in Deutschland vereinzelt Proteste, um auf den Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine zu reagieren.

In Kassel oder anderen kleineren Städten Protest zu organisieren sei schwierig, bedauert Shami. Aber es gäbe Pläne, auch hier als Teil einer internationalistischen Bewegung mit deutschen Linken gemeinsam Proteste gegen das iranische Regime zu organisieren und auch in Deutschland über die Situation im Iran aufzuklären. Dass Shami diesen Kampf gegen das islamische Regime zeit seines Lebens weiterführen wird, steht außer Frage.