Tu no matas “fuera de amor”


Was bezüglich Gewalt an Frauen oft allgemein festgestellt wird, gilt selbstverständlich auch für Kassel: Täglich müssen Frauen in heterosexuellen Partnerschaften Gewalt erfahren, ein Teil von ihnen überlebt diese nicht. Die Täter sind überwiegend Männer. Eine ausschnitthafte Betrachtung der Situation in Kassel gibt Aufschluss über Hintergründe und Präventionsmöglichkeiten von Gewalt gegen Frauen in heterosexuellen Partnerschaften.*

Kundgebung anlässlich des Gedenk- und Aktionstages am 25.11.2020 auf dem Opernplatz

Es gibt zwei eingängige statistische Zählungen, wenn es um Gewalt und Mord an Frauen durch ihre (Ex-)Partner geht: Durchschnittlich versucht in Deutschland jeden Tag ein Mann, seine (Ex-)Partnerin umzubringen, durchschnittlich stirbt dadurch alle drei Tage eine Frau. Diese Zahlen werden in der polizeilichen Kriminalstatistik zu Partnerschaftsgewalt jährlich erhoben. Weil es in diesem Bereich eine hohe Dunkelziffer gibt, kann davon ausgegangen werden, dass die Zahl derer, die Opfer von dieser Art Gewalttaten werden, deutlich höher ist.

Zwei Fälle vor Gericht in Kassel

Vor dem Kasseler Landgericht werden momentan zwei solcher Fälle verhandelt. So hat Ende Januar 2020 una 33- jähriger Mann mehrfach auf eine 29- jährige Frau eingestochen, nachdem er sie in ihrer Wohnung aufgesucht hatte. Laut HNA waren Täter und Opfer ein Paar und die Frau habe die Beziehung 2015 beendet. Seitdem habe der Angeklagte sie immer wieder angerufen und ihr SMS- Nachrichten gesendet. In den Tagen vor der Tat habe sie ihm mitgeteilt, dass sie keinen Kontrakt mehr zu ihm wolle.

Über den Täter sagte das Opfer, so die HNA, dass dieser in ihrer Beziehung stets eifersüchtig gewesen sei. Die Frau überlebte den Mordversuch mit lebensgefährlichen Verletzungen, wurde ins Krankenhaus eingeliefert und konnte dieses erst dreieinhalb Monate später wieder verlassen.

Der zweite Fall, der zur Zeit am Landgericht Kassel verhandelt wird, ereignete sich im August 2019. una 28- jähriger Mann soll laut HNA gegen frühen Morgen zur Bar in der Moritzstraße gekommen sein, in der seine Ex-Freundin gearbeitet hat. Nach Schichtende setzte sich die Frau in ein Minicar, woraufhin sich der Mann ebenfalls in das Auto setzte. Nachdem die Frau wieder aus dem Auto ausgestiegen war, habe der Mann die Handtasche der Frau ergreifen wollen.

Die Frau ließ die Handtasche nicht los, der Täter schlug der Frau daraufhin mit der Faust ins Gesicht. Die Frau fiel bewusstlos zu Boden und der Täter schlug und trat weiter auf sie ein. Die HNA schreibt, dass die Frau „ zahlreiche Frakturen im Kopf- und Gesichtsbereich, ein Schädelhirntrauma, Brüche von Kiefer und Nase und des Orbitalbodensalso einem Bruch des Augenhöhlenbodens zur Kieferhöhle hin“ erlitt. Die Staatsanwältin äußerte im Strafprozess, dass der Angeklagte eifersüchtig gewesen sei, weil die Frau während ihrer Arbeit in der Bar freundlich zu den Besuchern gewesen sei.

Beide Fälle eint die Eifersucht, die in den Prozessen als Motiv für die Gewalt der Täter gehandelt wird. In beiden Fällen wurden Frauen dermaßen misshandelt, dass sie schwere bis lebensbedrohliche Verletzungen erlitten haben.

Feminizide haben Struktur

Die Suche nach der Erklärung dafür, dass ein Mann seine (Ex-)Partnerin gegenüber derart gewalttätig wird, darf nicht beim Motiv der Eifersucht stehenbleiben. So erklärt die Fachanwältin für Straf- und Familienrecht Christina Clemm in einem Interview gegenüber dem Bayern2RadioWelt: „Das ist der unbedingte Besitzanspruch der Männer über Frauen. Das ist ein strukturelles Problem. […] Das ist ein tiefsitzender Frauenhass. Deswegen sprechen wir auch auf gar keinen Fall vonBeziehungstaten”, sondern vonFemiziden”, das heißt von Tötungen einer anderen Person aufgrund ihres weiblichen Geschlechts.“

Femizide sind die extreme Form partnerschaftlicher Gewalt gegen Frauen. Auch bei Körperverletzung, sexueller Gewalt und Vergewaltigungen, Bedrohung, Stalking und Nötigung innerhalb von Partnerschaften ist die geschlechterspezifische Verteilung eindeutig: die Opfer sind überwiegend weiblich und die Täter überwiegend männlich.

en la primavera 2020 wurde zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung der Corona- Pandemie vielfach auf das gesteigerte Potential partnerschaftlicher Gewalt hingewiesen, wenn Opfer und Täter im selben Haushalt leben. A En línea- Befragung DE 3800 Frauen zu erfahrener körperlicher Gewalt während der Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr 2020 hat diese Prognose bestätigt.

Die Umfrage hat ergeben, dass Quarantäne, Ausgangsbeschränlungen und finanzielle Sorgen durch die Corona- Krise negative Auswirkungen auf die Fallzahlen häusliche Gewalt gegen Frauen hatten. Kurzarbeit und Homeoffice führen dazu, dass Täter und Opfer häufiger zusammen zuhause sind und somit die Chancen für gewalttätige Übergriffe zunimmt. Durch Geschäftsschließungen sowie Kontaktbeschränkungen fallen Ausweichmöglichkeiten für die Opfer partnerschaftlicher Gewalt weg.

Kasseler Verhältnisse

Auf Nachfrage bei der Kasseler Beratungsstelle „Frauen informieren Frauen“ (kurz FiF) sagt Heike Upmann, dass die Beratungsstelle in diesem Jahr statistisch zwar keinen Anstieg der Partnerschaftsgewalt verzeichnen konnte. Gleichzeitig sei es für die Frauen jedoch viel schwerer gewesen, die Beratungsstelle zu erreichen, so Upmann. Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle hätten vor allem montags und freitags mit Frauen telefoniert. Diese hätten oft von unterwegs aus angerufen. „Unsere Vermutung ist, dass sich die Situation vor allem an den Wochenenden nochmal verschärft hat, wenn die Frauen noch nicht mal unter dem Vorwand, Besorgungen machen zu müssen, das Haus verlassen konnten.“

Auf die Frage, was aus Perspektive der FiF- Beratungsstelle stadtpolitisch getan werden könnte, um Opfer von Partnerschaftsgewalt zu unterstützen, antwortet Upmann: „Vor allem fehlt es an sicheren Unterbringungsmöglichkeiten für die Frauen. Deshalb benötigen wir dringend viel mehr Frauenhausplätze und Notwohnungen. Die Notwohnungen sind wichtig für die Frauen, die ansonsten nicht in ein Frauenhaus gehen würden (etwa weil sie ihre Söhne nicht mitnehmen können oder, generell, ältere Kinder nicht mit ins Frauenhaus gehen würden) und auch als längerfristige Unterbringungsmöglichkeit.“

Die Wohnungsmarktlage sei laut der Beratungsstelle darüber hinaus in Kassel mittlerweile so angespannt, dass die Frauen monatelang nach einer eigenen Wohnung suchen müssten, vor allem wenn das Jobcenter die Wohnung bezahle.

Des weiteren brauche es eine engmaschigere Begleitung der betroffenen Frauen bei Behördengängen, Terminen bei Ärzt*innen und Rechtsanwält*innen. Dies beträfe vor allem Frauen, deren Deutschkenntnisse (todavía) nicht ausreichend sind. Sie seien bei nahezu allen Terminen, vor allem aber Behördengängen, auf Dolmetscherinnen angewiesen seien. Aber auch Frauen, die zwar Deutsch fließend sprechen, aber nicht ausreichend lesen oder schreiben können, würden vor besonderen Schwierigkeiten stehen. Viele Migrantinnen bräuchten darüber hinaus Unterstützung, um sich in den hiesigen Behördenstrukturen und -abläufen zurecht zu finden, so Upmann von FiF.

Auch wenn die Ursachen und Bedingungen für Gewalt gegen Frauen in heterosexuellen Partnerschaften nicht Kassel- spezifisch sind, so könnte stadtpolitisch die Situation von betroffenen Frauen durch geeignete Maßnahmen doch erheblich verbessert werden.

* Dieser Artikel erscheint anlässlich des Gedenk- und Aktionstages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25.11., welcher jährlich begangen wird. Hintergrund für die Wahl des 25.11. für diesen Tag war die Verschleppung, Vergewaltigung und anschließende Ermordung der drei Schwestern Mirabal in der Dominikanischen Republik. Dies erfolgte auf Befehl des Diktators Trujillo, gegen den die drei Schwestern Widerstand leisteten. 1961 riefen lateinamerikanische Feministinnen diesen Tag zum Widerstandstag gegen Gewalt an Frauen aus.