Terrorverfahren gegen Antiterrorkämpfer


Jan-Lukas ist politischer Aktivist aus Kassel. Im Oktober 2019 wurde seine Wohnung von der Polizei durchsucht. Der Vorwurf: Terrorismus. Erstaunlich, denn Jan-Lukas kämpfte 2017 gegen die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien an der Seite der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). In Rojava wurde von der kurdischen Linken mitten im Krieg ein basisdemokratisches und feministisches Gesellschaftssystem aufgebaut, das von vielen sozialistischen Bewegungen Solidarität erfährt. Auch aus Kassel. Wir suchen das Gespräch über politische Repressionen in Kassel und die Lage in Syrien.

Ein Interview von Christoph Hepp

Jan-Lukas, im Oktober standen plötzlich Polizei und Staatsschutz in deiner Wohnung. Worum ging es da und wie lief das ab?

Es gab einen Beschluss vom Bundesgericht zu Ermittlungen, da ich wegen §129, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, verdächtigt wurde. Man wollte Beweise dafür suchen, dass ich zwischen 2017 und 2018 bei der YPG war. Naja, dass dieser Verdacht besteht wurde zum Anlass genommen, die Wohnung zu durchsuchen und noch mehr Beweise zu sichern.

Und die YPG wird da als Terrororganisation geführt?

Nein, aber es wird gesagt, dass aufgrund der Nähe zur PKK, die ja als Terrororganisation angesehen wird, ein Anfangsverdacht besteht.

Dir werden jetzt keine konkreten Verbrechen vorgeworfen?

Nein, das nicht. Es geht allein um die Anwesenheit in Syrien und die Mitgliedschaft bei der Organisation. Da wird gesagt, es gäbe genug Beweise dass die YPG der PKK nahe steht, oder eine “unselbstständige Teilorganisation” der PKK ist. Deswegen ist die Beteiligung an der YPG schon genug, um im Rahmen eines Strafverfahrens in Deutschland zu ermitteln.

“Deswegen ist die Beteiligung an der YPG schon genug, um im Rahmen eines Strafverfahrens in Deutschland zu ermitteln.”

Wie lief die Durchsuchung dann konkret ab? Was für einen Aufwand haben die betrieben?

Es waren ungefähr sechs Polizist*innen in meiner Wohnung. Vielleicht einer mehr, einer weniger. Wenigstens kein Sondereinsatzkommando. Aber der Einsatz lief parallel bei meinen Eltern, in meiner alten Wohngemeinschaft und in meiner aktuellen Wohnung, ich bin vor kurzem umgezogen. An drei Orten zugleich. Ein Rieseneinsatz.

Das klingt nach einem miesen Tag. Wie ordnest du die Durchsuchungen jetzt ein und was sind deine Befürchtungen? Solche Ereignisse sind ja meist die Vorboten von ganz anderen Ereignissen.

Ich vermute, dass die Aktion bei mir Teil einer allgemein härteren Gangart gegen die kurdische Freiheitsbewegung ist. Und auch gegen die Leute, die ihr nahestehen. Vor kurzem fand zum Beispiel eine Razzia in Hamburg bei Anja Flach statt. Anja ist eine anerkannte und renommierte Buchautorin, die sich mit der kurdischen Freiheitsbewegung solidarisiert und mehrmals in Kurdistan war. Dass die Repression so eine öffentliche Person trifft, ist etwas Neues.

Und dann die Fahnen-Verbote. Die Bundesländer können nun verfolgen, wenn man nur die Fahnen von Rojava zeigt. Völlig absurd. Kurz vor Weihnachten nahmen deutsche Polizisten auf türkischen Haftbefehl dann noch Mehmet Sarar fest, ein türkischer Linker. Und – damit noch nicht genug – seit ein paar Tagen sitzt Mustafa Çelik in Bremen in Untersuchungshaft wegen angeblicher PKK Mitgliedschaft, ganz im Interesse der türkischen Regierung.

Und in Kassel?

Anfang dieses Jahres gab es Hausdurchsuchungen bei mehreren kurdischen Genossinnen und Genossen in Kassel und im kurdischen Kulturverein Welat in der Frankfurterstraße. Natürlich auch wegen angeblicher Unterstützung des Terrorismus. Kassel ist also keine Ausnahme.

“Ich würde behaupten, dass es in Deutschland wieder politisch opportun ist, die kurdische Freiheitsbewegung zu kriminalisieren.”

Und das alles in dem Moment, als die Türkei in der Förderation Nordsyrien, also Rojava, einmarschiert. Ich würde behaupten, dass es in Deutschland wieder politisch opportun ist, die kurdische Freiheitsbewegung zu kriminalisieren. Die Kriminalisierung ist hier ohnehin schon wesentlich ausgeprägter als in anderen Staaten, wie Frankreich oder Belgien. Aber jetzt fallen politische und diskursive Schranken, die eine noch schärfere Repression gegen Kurden bisher verhindert hatten. Und das alles nach dem Diktat der Türkei.

Wie gehst du denn persönlich mit der Repression um, was sind deine Schlüsse aus der Situation? Es ist schließlich kein Pappenstiel, wenn die Polizei plötzlich in deiner Wohnung steht und man ein Terrorverfahren im Nacken hat.

Natürlich wird man von der Repression als Einzelner getroffen. Man hat individuell materiellen Schaden. Dazu kommt die psychische Belastung. Aber man kann sich entscheiden, diese Repression zu kollektivieren. Das heißt konkret, einen gemeinsamen strategischen Umgang damit zu pflegen, also auch die Belastungen zu verteilen. Plötzlich fällt einem auf, dass es Strukturen und politische Freundschaften gibt, die sich gerne damit befassen und man viel Hilfe und Solidarität erfährt. Auch wenn man sich anfangs ein bisschen ziert, ist es dann eher eine stärkende als eine schwächende Erfahrung von Repression getroffen zu sein.

Erst dann kann man ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass da politische Ideen angegriffen werden. Und dass für diese Ideen ganz viele Menschen stehen und nicht einfach nur individuelle Akteure, wie ich selbst. Wenn man eine solidarische Praxis daran knüpft, kann man wirklich gestärkt aus der Situation hervorgehen – so paradox das klingt.

Jetzt vielleicht eine etwas allgemeinere Frage, denn du bezeichnest dich ja als Internationalist. Was bedeutet der Begriff für dich?

Da kann man natürlich viel zu sagen. Erstmal bedeutet der Begriff abstrakt, dass man sich politisch nicht von nationalstaatlichen Grenzen aufhalten lässt. Weder im Denken noch im Handeln. Da es sehr viele Leute gibt die sich so als Internationalisten verstehen, würde ich das noch erweitern. Denn Internationalismus heißt für mich nicht sich nur die Rosinen herauszupicken und diese für die eigene Politik zu instrumentalisieren, wenn man auf eine andere linke Bewegungen in der Welt schaut. Viele legen da ihre deutsche Diskursschablone auf irgendwelche Konflikte drauf und suchen nach Abweichungen, die dann kritisiert werden. Bestimmte Dinge werden dann gefeiert und andere gar nicht beachtet, weil es einem nicht so richtig in dem Kram passt. Internationalismus heißt für mich, dass man sich wirklich auf andere Kämpfe einlässt und versucht, davon zu lernen. Natürlich heißt es auch kritisch zu sein, aber in erster Linie zu schauen: Wie funktioniert es denn an anderen Orten, wo funktioniert es denn überhaupt?

Denn in Deutschland funktioniert es ja gerade nicht. Hier gibt es keine gesellschaftlich relevante radikale Linke. Aber in Kurdistan eben schon, gerade wenn man sich die Revolution in Rojava anschaut. Da sollte man eher demütig herangehen, mit der Haltung eines Lernenden.

” Internationalismus heißt für mich, dass man sich wirklich auf andere Kämpfe einlässt und versucht, davon zu lernen.”

Du warst 2017 mit der YPG am Kampf gegen den Islamischen Staat beteiligt. Wie ist denn heute deine Perspektive auf diese Zeit?

Rückblickend betrachtet ist es gut, das Projekt zu unterstützen, auch ganz in praktisch-militärischer Hinsicht. Aber an meiner damaligen Entscheidung sieht man, dass es vor allem der Krieg ist, den man aus den deutschen Massenmedien kennt. Aber aus einer politischen Perspektive sind eher die gesellschaftlichen Aufbauprozesse interessant. Also wie die Menschen da mobilisiert werden, oder wie man sich diplomatisch behaupten kann. Dinge also, die gänzlich jenseits von dem Militäreinsatz liegen. Das ist das, wovon man wirklich etwas lernen kann und sollte.

Die Tatsache dass Internationalisten da vor allem zum Kämpfen hingehen, obwohl es andere Möglichkeiten gibt, zeigt, dass der Internationalismus noch nicht so weit ist. Man weiß so wenig darüber. Dementsprechend müsste man hingehen und sich überraschen lassen. Rückblickend fände ich es besser, in zivile Strukturen zu gehen und dort zu lernen und zu arbeiten, auch wenn die militärischen Strukturen sehr wichtig sind in der derzeitigen Lage.

Du warst kürzlich noch einmal in Rojava, vor allem in zivilen Strukturen. Wie ist dort die Lage zum Jahreswechsel 2019/2020?

Naja, die Türkei hat ihre Kriegsdrohung im Oktober realisiert und ist in Nordostsyrien zwischen Gîre-Spî und Serikaniyê einmarschiert, gemeinsam mit den dschihadistischen Milizen, die von ihr ausgerüstet und trainiert werden. Nach einer knappen Woche harter Gefechte hat sich die Situation konsolidiert, die Türkei hat die Offensive gestoppt. In diese Entscheidung hat der diplomatische Druck Russlands rein gespielt, sowie der Druck von der Straße, der ein großes negatives Medienecho ausgelöst hat. Vermutlich das Größte bis jetzt über eine Militäraktion der Türkei, größer als das bei der Afrin-Offensive 2018.

Klar, es gibt noch Gefechte, aber die großen Landnahmen und Luftangriffe haben aufgehört. im Januar soll es wieder ein Treffen zwischen Putin und Erdogan geben, bis dahin versucht man aufeinander Druck auszuüben. Jedes Dorf was jetzt noch erobert wird, hilft hinterher bei den Verhandlungen.

Was glaubst du denn, welche Perspektive das Projekt Rojava hat?

Also wünschenswert wäre natürlich ein Frieden. Und da führt leider an Bashar al-Assad und dem syrischen Regime, kein Weg vorbei. Das heißt, man muss sich Wohl oder Übel mit ihm einig werden. Das Problem ist, dass es ein hoch internationalisierter Konflikt ist, und selbst wenn Assad wollte, er natürlich bei Weitem nicht der Einzige ist, der in Syrien was zu sagen hat. Es gibt Konferenzen, wo das Schicksal von Syrien beschlossen wird, ohne dass daran ein einziger Syrer beteiligt ist.

Beteiligt sind nur die Imperial- und Regionalmächte, zum Beispiel Russland, der Iran, die Türkei, und ab und an die USA. Das heißt, es ist eine sehr anspruchsvolle diplomatische Aufgabe irgendwann Frieden zu erreichen. Aber klar, wünschenswert und ich glaube auch erreichbar, ist eine radikal-föderale Lösung für ganz Syrien auch unter Einbezug der nordostsyrischen Föderation und eben auch Assads. Das würde die revolutionäre Perspektive im Land am Leben halten. Neben Assad, der sich gegen eine solche Demokratisierung weiter Landesteile sträubt, ist die entscheidende Kraft in den Verhandlungen aktuell Russland.

Von Rojava nach Kassel. Auch hier gibt es eine linke Bewegung, die tagtäglich ihre Kämpfe führt. Was würdest du in Kassel an diesen Kämpfen ändern wollen?

Grundsätzlich bedeutet Internationalismus eine Offenheit und Empathie in der politischen Arbeit für andere Kämpfe. Wenn man das so daher sagt würden einem vermutlich viele zustimmen, daher würde ich das anhand von Beispielen erläutern. Es gibt immer wieder Diskussionen, die ich mitbekomme. Die letzte war, dass auf einer Demo unter dem Slogan “Solidarität mit Rojava”, bei der Deutsche und Kurden gemeinsam waren, kritisiert wurde, dass es nach einer Provokation durch einen faschistischen Wolfsgruß zum Handgemenge kam.

In der Diskussion hat dann ein kurdischer Bekannter gesagt: “Naja, wenn jemand einen Hitlergruß macht und dann würde sich geprügelt, dann wärst du viel verständnisvoller“. Mit diesem Wolfsgruß verbinden die Leute eben einiges. Da muss der Internationalist, der das in diesem Moment erst mal irritierend findet, die Haltung der Lernenden einnehmen und sich fragen: Warum kommt es zum Handgemenge, wenn jemand ein Handzeichen macht? Dazu muss man die Geschichte des Handzeichens verstehen.

“Das ist die Haltung die ich von Internationalisten erwarte und was sehr oft fehlt.”

Dass Leute flüchten mussten, auch Leute, die heute in Kassel leben, deren Familien getötet wurden von Faschisten, die den Wolfsgruß zeigen. Das bedeutet etwas in der Lebensrealität dieser Menschen und die sollte man zuerst versuchen zu verstehen. Das ist die Haltung die ich von Internationalisten erwarte und was sehr oft fehlt.

Verständnis ist die eine Sache, aber das muss ja auch aus einer bestimmten politischen Haltung kommen.

Ich glaube es braucht eine politische Kultur, die innerhalb der Linken respektvoll miteinander umgeht und auch in ihren Differenzen respektvoll bleibt. Oder vielleicht auch gerade wegen dieser Differenzen, dass man sich bewusst ist das man nicht gleich ist. Auch wenn man partiell anderer Überzeugung ist, aber man trotz dieser Differenzen weiterarbeiten kann. Es ist eine große Schwäche gerade der deutschen Linken dass man sich an irgendwelchen kleinen Fragen aufreibt. Man dreht sich ständig um sich selbst, handelt szenepolitische Kämpfe ohne jeden Vermittlungsanspruch aus, und vergisst dabei völlig, die restliche Gesellschaft zu erreichen. Oder hat das vielleicht auch schon lange aufgegeben. Das ist ein großes Problem.

Vor allem, wenn man mit einer anderen linken Bewegung kooperieren will. Die kurdische linke Bewegung, die eine jahrzehntelange Tradition hat, genauso wie die deutsche linke Bewegung – die können nicht einfach plötzlich so tun als sei man eins und hätte keine Differenzen. Man muss sich da bewusst werden aber auch gerade in der Unterschiedlichkeit einen respektvollen Umgang entwickeln. Ein Freund hat mal überspitzt gesagt, man muss vor allem Vorurteile abbauen: Nicht alle deutschen Linken hängen nur am Kneipentresen und nicht alle kurdischen Linken sind Stalinisten.

“Ein Freund hat mal überspitzt gesagt, man muss vor allem Vorurteile abbauen: Nicht alle deutschen Linken hängen nur am Kneipentresen und nicht alle kurdischen Linken sind Stalinisten.”

Wenn man da offen und empathisch ist, dann wird man merken dass es eine ganze Menge zu lernen gibt. Die kurdische Freiheitsbewegung hat eine lange Geschichte. Sie ist im Gegensatz zu anderen linken Bewegungen gewachsen und nicht geschrumpft. Sie ist erfolgreich und kontrolliert im mittleren Osten Gebiete mit mehreren Millionen Einwohnern und hat mehrere zehntausend Leute in den Selbstverteidigungskräften. In der Relation zur Situation in Deutschland drängt sich die Frage auf warum das alles so ist. Dann ist man an dem Punkt wo man bereit ist zu lernen, wo man offen ist.

Das ist doch ein gutes Schlusswort. Danke für das Gespräch!