Ulrich Kutschera ist wegen Volksverletzung, Beleidigung und unwahrer Tatsachenbehauptung angeklagt. Der Kasseler Professor für Pflanzenphysiologie muss sich nach einer knapp einjährigen Unterbrechung seines Verfahrens seit dem 20. Juli erneut gegenüber der Staatsanwaltschaft vor Gericht verantworten.
In einem Interview mit dem rechtskonservativen Online-Magazin “kath.net” anlässlich der Einführung der sogenannten “Ehe für Alle” hatte Kutschera ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare als “staatliche geförderte Pädophilie” bezeichnet, die zu “schwerstem Kindesmissbrauch” führen werde. Nach der Anklageschrift stellt diese “pauschale Herabwürdigung homosexueller Menschen” den Ausgangspunkt für die Verurteilung wegen Volksverhetzung dar.
Der Universitätsprofessor bekräftige in einer Einlassung und in mündlichen Ergänzungen erneut seine Äußerungen und bemühte sich, sie als gegenwärtigen Stand der Wissenschaften zu präsentieren. In fast einstündigen Ausführungen versuchte er unter anderem darzulegen, dass Kinder in gleichgeschlechtlichen Haushalten leiden würden und häufiger Gewalttaten ausgesetzt seien. Er selbst wolle nur auf Basis von Fakten vor der gegenwärtigen Fehlentwicklung warnen.
“Diese Aussagen und viele weitere sind hetzerisch und sie sind objektiv geeignet, Gewalt zu erzeugen.”
Das Verfahren interpretierte Kutschera dabei vor Gericht als Resultat einer “Diffamierungskampagne” durch die “Gender-Ideologen” – bereits zuvor hatte er den Strafprozess auch als “eine Art Bücherverbrennung 2019” bezeichnet. Die Vorwürfe gegen ihn würden seine “Ehre und Würde als international tätiger Wissenschaftler verletzen”.
Ein als Zeuge geladener Mitarbeiter der Universität Kassel stellte allerdings im Gericht klar, dass die Verletzungen nicht an Ulrich Kutschera begangen worden sind. Von seinen homofeindlichen Äußerungen persönlich betroffen, wies er auf die unterschiedlichen Formen alltägliche Gewalt gegen homosexuellen Menschen hin. Für diese würden die beleidigenden Aussagen des Kasseler Professors die Legitimationsquelle bieten.
Etwa 100 Demonstrant*innen ziehen von der Universität Kassel zum Gerichtsgebäude.
Quelle: Pressestelle
Auch außerhalb des Gerichts blieben Kutscheras Äußerungen nicht unwidersprochen. Um 10 Uhr versammelte sich eine Demonstration vor dem Präsidium auf dem Gelände der Universität Kassel. Dem Aufruf des autonomen SchwuLesBiTrans*Queer Referat Kassel und der AG Hochschulpolitik des AStAs waren etwa 110 Menschen gefolgt, die durch die Innenstadt hindurch vor das Amtsgericht zogen.
“Unsere Existenz ist der lebende Beweis, dass Menschen wie Kutschera nicht recht haben.”
In den Redebeiträgen wurde sich mit verschiedenen Aspekten der Causa Kutschera auseinandergesetzt. Dabei wurde immer wieder deutlich gemacht, dass Kutscheras Aussagen nicht nur von einem queerfeindlichen, sondern auch von einem misogynen und rassistischen Weltbild zeugen, welches es zu bekämpfen gelte.
Eine Rednerin betonte, dass Kutschera zwar wissenschaftlich unbedeutend sei und man ihm daher keine Aufmerksamkeit schenken solle. Nicht ignorieren dürfe man hingegen das Netzwerk, in dem er sich befindet und das seine Aussagen unterstützt. Der Kasseler Professor sitzt unter anderem im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und wurde von der AfD als Redner geladen.
Kutschera bei seinem Vortrag vor der AfD-Landtagsfraktion Schleswig-Holstein
Quelle: Screenshot Parteivideo
Des Weiteren wurde deutlich gemacht, dass es „eine gefährliche Illusion“ sei, dass LGBTIQ- Feindlichkeit und Misogynie an der Universität nicht existent seien. Darüber hinaus wurde kritisiert, dass von Kutscheras Hetze betroffene Personen von Seiten der Universität wenig Unterstützung erfahren. Eine ernsthafte Antidiskriminierungspolitik dürfe nicht bei Lippenbekenntnissen und vorsichtigen Distanzierungen der Universitätsleitung stehen bleiben.
Diese erklärte in einer Stellungnahme den Prozess “mit großer Aufmerksamkeit” zu verfolgen. Es bleibt angesichts der kontinuierlichen Äußerungen des Kasseler Professors allerdings zu fragen, warum die bestehende Dienstaufsichtsbeschwerde nicht bereits eigenständig weiterverfolgt wurde.